Wahnsinn braucht Methode.
Warum Methodik und Strategie mit erfolgreicher Designwirkung Hand in Hand gehen.
Ab und zu gibt es ja tatsächlich Menschen, die uns fragen, was wir denn so genau machen. Designforschung also, aha. Emotionen, hm. Ein Thema, dass die meisten in der Tat hellhörig werden lässt. Es ist ja tatsächlich ein aufregendes Feld. Mindestens einer dieser beiden Begriffe lässt bunte Bilder in den Köpfen der Fragenden entstehen. Und dann auch noch in Kombination! Nunja.
Und wenn wir dann von der Erforschung von Methoden, Strategien, Mustern und Systemen erzählen, ja spätestens da verwandeln sich die interessiert hochgezogenen Augenbrauen in skeptisches Stirnrunzeln. Passt doch irgendwie nicht zusammen, Gefühle und Strategie - Emotion und Ratio. Das ist doch wie Feuer und Wasser und nicht wie Pech und Schwefel. Emotionen, da geht es um das hochgepriesene Bauchgefühl, um Unkontrollierbares, um das nicht Greifbare. Was hat da der Kopf mit seinen Gedanken und Strategien zu suchen?
In diesem Moment wünsche ich mir tiefer einzusteigen, die spannenden Fakten, Modelle und Studien aus 100 Jahren Emotionsforschung zu erläutern - ja förmlich um die Ohren zu schleudern. Mache ich aber nicht. Stattdessen zeige ich Ihnen an zwei Beispielen, dass Methodik und Strategie ein zukunftsweisender Weg im Design sind. Vor allem dann wenn wir uns den emotionalen Wirkungsmechanismen und der Zielgruppe konsequent nähern wollen.
Beispiel 1
Semesterprojekt Nähmaschine
Unser erstes Beispiel fängt ganz vorne an, Nämlich im Studium. Bei jungen Menschen die gerade herausfinden was alles dazugehört, wenn man als Designer oder Designerin zukünftig Fuß fassen will.
Die beiden Industriedesign-Studenten Philipp Süss und Jörn Lehmann haben sich im Rahmen eines 2.Semesterprojektes im von mir betreuten Kurs „aus alt mach besser.“ einem ganz besonderen Vorhaben gestellt. Die Herausforderung bestand für die beiden darin, einer alten Gritzner Nähmaschine von 1959 neues Leben einzuhauchen und dabei sowohl die bestehende Technik, als auch mindestens 20% der alten Außenhülle in das zukünftige Design zu integrieren.
© Philipp Süß, Jörn Lehmann
Kann die alte Technologie neu verpackt, ergonomisch optimiert und funktional erweitert wieder markt- und wettbewerbsfähig gestaltet werden? Wie hat sich der Markt gewandelt? Was erwarten heutige Näher und Do-it yourself Fans von einer Nähmaschine? Und wie kann man diese mit einem Relaunch sogar überraschen und begeistern?
Vorher
© Philipp Süß, Jörn Lehmann
Über eine tiefe Marken- und Marktrecherche, Beobachtungen, Selbsttests, Experteninterviews und dem Erstellen von Personas kamen Philipp und Jörn den Zielen, Wünschen und Erwartungen näher. Doch was bedeuten diese Erkenntnisse nun konkret für die Neugestaltung des 57 jährigen Nähfossils?
© Philipp Süß, Jörn Lehmann
Um das erarbeitete Wissen besser zu strukturieren und erfassen zu können haben Jörn und Philipp mit unserem Emotion Grid die Werte-Strategie auf die beine Gestellt. Hier wurden die emotionalen Zonen von Zielgruppe, Marke und Produktsparte schnell sichtbar und es konnten Gewichtungen gemacht werden. Um dann auch eine zielgerichtete Gestaltung zu ermöglichen, haben die beiden Studierenden die Design Elements in Ihren Prozess integriert. So wurden spezifische Primär- und Subformen, Materialien, Proportionierungen, Strukturen und Gliederungen zu den notwendigen Zutaten für den bevorstehenden Gestaltungsprozess. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen!
Aus einem 57 Jahre alten Flohmarktfund wurde eine hochmodernes Arbeitsgerät, welches nicht nur durch verbesserte Funktionalität und Bedienung besticht, sondern die Zielgruppe vor allem über die emotionale Designwirkung in ihren Bann zieht. Chapeau!
Nachher
© Philipp Süß, Jörn Lehmann
Beispiel 2
Projekt Radius
Unser zweites Beispiel führt uns mitten hinein in die Arbeit unseres Büros. Unser Fokus liegt auf dem Industriedesign, wobei unser Forschungsgebiet auch immer wieder spannende Projekte in angrenzenden Bereichen bereit hält. Im Fall des Berliner Unternehmens Circumradius GmbH und Ihrem Projekt Radius fokussierten wir uns auf das Thema Interfacedesign.
Radius ist eine internetbasierte Therapieunterstützung für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. Ein hoch sensibles medizinischer-psychologischer Bereich, welcher viel Sicherheit und Empathie fordert. Radius gilt dabei als der verlängerte Arm des Therapeuten und muss somit auch die gleiche Sprache sprechen, bzw. die entsprechenden Emotionen spürbar werden lassen.
Zu Beginn unseres gemeinsamen Projekts gab es bereits eine funktionierende Version der Applikation, die bereits eine ausgiebig Testphase durchlaufen hatte. Die Frage, die sich zu Beginn stellte: Passt das aktuelle Design zu unseren zwei Zielgruppen und zur Anwendung? Können wir mit einer emphatischen Gestaltung zu einer besseren Produktakzeptanz und höheren Therapieerfolgen beitragen? Und wenn ja, wie müssen einzelne Elemente, Prozesse und Farbwelten aussehen?
Vorher
Bevor wir mittels eines gemeinsamen Workshops, zusammen mit Auftraggeber und Programmierer die zukünftige Strategie festlegen konnten, stand eine ausgiebige Analyse des Marktes, der Hauptwettbewerber, der Zielgruppen und des jetzigen Designs im Vordergrund. Diese Ergebnisse wurden während des Workshops direkt im Emotion Grid platziert und ausgewertet.
Jede Emotion und jeder Wert der relevant für die zukünftige Wirkung ist, wurde mit einer Wabe belegt, wodurch sich sehr schnell Gewichtungen darstellten. Insbesondere die Bedürfnisse und Ängste der Menschen, die mit dieser Anwendung umgehen, standen im Vordergrund. Davon hängt hab, ob Radius langfristig benutzt wird oder gar nicht erst für die Therapie eingesetzt wird. Vertrauen, Sympathie, Menschlichkeit und Nähe standen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite muss Radius hochprofessionell, sicher, rein und effizient wirken. Die teils sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Wertewelten von Therapeuten und Patienten sollen in einer App vereint werden.
Im Nachgang des Workshops wurde die zukünftige Strategie ausgearbeitet und Design-Optimierungen mit Hilfe der Design Elements entwickelt. Fünf unterschiedliche CD-Setups mit differierenden Schwerpunkten wurden gestaltet und detailliert mit Vor- und Nachteilen ausgewertet. Finale Auswahl und Umsetzung lagen dann beim Auftraggeber.
Bereits der erste Messeauftritt im Frühjahr war ein großer Erfolg. Das Feedback von Therapeuten und Anwendern war auch im weiteren Verlauf durchweg positiv und zeigt, dass ein methodisches Vorgehen mit dem Fokus auf der emotionalen Dimension eines Produkts / einer Anwendung maßgeblich zu Verbesserungen und einer höheren Akzeptanz führen wird.
Wir wünschen auch an dieser Stelle weiterhin markante Erfolge und freuen uns dieses wertvolle Projekt strategisch unterstützt zu haben.