Form Follows What?

Warum die Form sich emanzipieren sollte.

Quadrat Kreis Dreieck

Die Form hat es nicht leicht. Ständig gibt es irgendetwas, dem sie zu folgen hat. An erster Stelle natürlich der Funktion. Mindestens ein mal die Woche, wird mir gegenüber der sogenannte Leitsatz "Form Follows Function" (FFF) zitiert. Dabei schauen mir meine Gesprächspartner - zumeist Nicht-Designer - mit einem wohlwissenden Blick in die Augen. Vermutlich in der Hoffnung, dass ich nun in Anerkennung dieser Designerweisheit heftig nicke. Das tue ich dann auch, nur nicht ganz so heftig. Weniger aus Anerkennung, sondern ehrlich gesagt, weil ich mir eine Diskussion über das allgemeine Missveständnis ersparen möchte. Schließlich gehört es mittlerweile schon zur Allgemeinbildung, dass gutes Design und "Form Follows Function" quasi wie Sherlock Holmes und Dr. Watson sind - der eine kann nicht ohne den anderen.

Keine Angst, es wird jetzt keine lange Abhandlung über dieses Missverständnis geben. Zum einen, weil ich davon ausgehe, dass mittlerweile die meisten Leser darüber informiert sind. Zum anderen, weil bereits viel und ausführlich in aktueller Literatur und Magazinen dazu geschrieben wurde. Zum Beispiel hier.

 

Der Vollständigkeit halber daher nur so viel: FFF geht auf den amerikanischen Architekten Lois Sullivan zurück, der Ende des 19. Jahrhunderts eine seiner Aussagen mit "dass die Form immer der Funktion folgt." beendete. Damit wurde FFF völlig aus seinem Zusammenhang gerissen und fehl interpretiert. Ornamente wurden zum Verbrechen deklariert und die rein sachliche Form wurde zu "guten Form". Nichts dergleichen hatte Sullivan im Sinn, für ihn zählten Statusanzeichen und das Wohlbefinden der Menschen in Architektur und Design genauso zu deren Funktionen hinzu. Bereits in den 70er Jahren entwickelte sich daher bereits eine Funktionalismuskritik, welche die semantischen Funktionen von Gestaltung wieder in den Vordergrund holte. Warum besteht also nach so vielen Jahrzehnten immer noch diese Fehlinterpretation und warum wird Design daran gemessen?

 
Die Problematik, die sich bereits im Eingangssatz andeutet, liegt mir allerdings stärker am Herzen. Die Form bzw. die Gestaltung, muss heutzutage so vielen Aspekten gerecht werden, dass die Aufgabe ein gutes Produkt zu gestalten, eine komplexe Auseinandersetzung mit unzähligen Faktoren fordert. Wird die Marke authentisch repräsentiert? Fühlt sich die Zielgruppe angesprochen? Versteht der Benutzer die Bedienung intuitiv? Wie vermeide ich negative Assoziationen? Passt das Design in die Wertewelt der Zielgruppe? Lässt es sich günstig produzieren? Wie wirkt es am POS? Kann die Benutzung sogar Spaß machen? Und und und. Ich könnte ewig so weiter machen. Wäre die Form eine Person, sie hätte schon längst einen Burnout. Hinter jeder Gestaltung steckt allerdings ein Designer(team), dass auf all diese Fragen die richtigen Antworten liefern muss. Machen wir daraus auch solche gut zu wiederholenden Statements, könnte das so aussehen:

 

Form Follows Brand.

Form Follows User Needs.

Form Follows Experience.

Form Follows Production.

Form Follows Handling.

Form Follows Joy.

From Follows Value.

Form Follows ...

 

 

Nun stellt sich vielleicht der ein oder andere die Frage, warum hier nicht "Form Follows Emotion" steht. Bereits Hartmut Esslinger, Gründer von frog design, hat in den 70er Jahren diese Aussage gewagt. Zu dieser Zeit versuchte man mit vielen "Form Follows ..." Aussagen Kritik an FFF zu üben. Da aber die Emotion mindestens ebenso häufig falsch gedeutet wird wie die Funktion, vermeide ich bewusst, in diese Richtung zu stoßen. Gerade weil das Phänomen Emotion unserer Forschungsschwerpunkt ist, würde eine Aussage wie "Form Follows Emotion" der Tragweite nicht gerecht.

 

Und genau darin liegt das grundsätzliche Problem all dieser Aussagen. Sie suggerieren, dass sich der Maßstab von gutem Design auf drei Wörter reduzieren ließe. Sie simplifizieren eine komplexe Tätigkeit, die sich wie bereits oben beschrieben, unzähligen offenen Fragen stellen muss.

 

Dabei ist Design nicht das Ergebnis, sondern der Prozess.


Genau aus diesem Grund halten wir es es für nötig, verlässliche Antworten für möglichst viele dieser Probleme zu liefern. Zu einem Teilbereich - Designwirkung und Emotionen - forschen wir daher seit einigen Jahren und arbeiten mit den Ergebnissen. Dadurch bleiben wir nicht nur in der Theorie sondern übertragen die Ergebnisse auch in die Praxis.

 

Ich wünsche mir also, eine Emanzipation der Form. Eine Befreiung von dogmatischen Glaubenssätzen, die immer noch unreflektiert von Menschen wiederholt werden. Leider ausgerechnet von denen, die eben häufig keine gestalterische Ausbildung genießen durften. In Designerkreisen ist das Wissen um die Bedeutung von FFF vorhanden, auch wenn es immer noch vereinzelte Anhänger des Funktionalismus gibt. Aber auch von Auftraggebern, die ja am Ende die Entscheidung für oder gegen ein Konzept fällen, erwarte ich eine professionelle Bewertung und Wertschätzung gegenüber der Arbeit von Gestaltern. Und die lässt sich nunmal nicht in drei Wörtern zusammenfassen.


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