bewusst/unbewusst - wie Design unser Verhalten beeinflusst

Manipulierende Wirkungsweisen im Automotive Design

Designwirkung & Ethik

Kürzlich auf dem Rückweg von einem vier Stunden-Meeting, fahre ich im Smart Roadster auf der A6 gen Nürnberg. Der Verkehr hat Feierabend Dichte und die rechte Spur ist von einer nicht enden wollenden LKW-Herde belegt. Trotz der 120er Beschränkung drücke ich die Tachonadel auf gute 130, als in meinem Rückspiegel plötzlich rhythmisch aufblitzende Scheinwerfer eines beißwütigen SUVs erkennbar werden. Die zornige Fratze mit dem aufgerissenen Wutschrei-Maul rauscht näher und beißt sich gefühlt an meinem Coupe-Heck fest.

Bereits beim zweiten Blick in meine Rückspiegel ist alles mit grimmigen Kühlermaul, schwarzen Luftschächten und wutverzerrten Scheinwerfern ausgefüllt. Das kalt funkelnde Fernlicht brennt mir in den Nacken und jedes sichtbare Detail faucht förmlich: „Verpiss dich oder ich fresse dich auf!“

Ich fühle mich bedrängt, gar bedroht und binnen von Sekundenbruchteilen steigt die Wut in mir auf. Verschiedenste Gedanken, von Flucht in die Schuhkarton-Lücke zwischen der LKW-Horde, über Druck weitergeben und den Vordermann bedrängen bis hin zur Schockbrems-Trotz-Warnung schießen mir durch den Kopf. Schlussendlich ertrage ich die Anfeindung so lange wie nötig und steuere den Smart samt meiner Wut, wie einen Tetris-Stein zwischen die 7.5 Tonner.

Ob Autobahn oder im City-Verkehr, fast jeder kennt derartige Situationen und Emotionsfeuerwerke. Die Gegenwärtigkeit von Aggressionen im Straßenverkehr hat nach einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) spürbar zugenommen, das geben die Befragten mehrheitlich an. Auch Verkehrspsychologen und -richter mahnen hinsichtlich steigender Vorfälle dringend zur „Zähmung“ des Verkehrsklimas.

Doch geht das überhaupt und welchen Einfluss hat das Design auf zunehmendes hupen, drängeln und progressives Pöbeln?


»Ein BMW sollte immer so aussehen, als wolle er die Straße vor sich auffressen.«

Adrian von Hooydonk - Leitung BMW Group Design

Die Ära des Zorns

Die Jahrtausendwende war auch der Beginn einer neuen Ära des Automotive-Designs. Dabei ist es nichts Neues, dass sich das Design der meisten PKWs an der menschlichen Mimik orientiert. Seit 2000 scheint die mimische Expression von Wut und Aggression jedoch zum Zeichen unserer Zeit geworden zu sein. Waren bis in die 90er Jahre noch Fahrzeuge mit runden Scheinwerfern, freundlichen Fronten und wenig inflationären Proportionen gängig, hat die fiese Fratze und schiere Fahrzeug-Masse in den letzten 20 Jahren ihren Siegeszug durch alle Klassen vollzogen.

Es gibt ausnahmslos keinen Hersteller, der heute nicht auf Dominanz durch listig gestaltete Zeichen setzt. BMW Chefdesigner Adrian von Hooydonk sagt hierzu: „Ein BMW sollte immer so aussehen, als wolle er die Straße vor sich auffressen.“

Doch was passiert wenn nicht nur die BMWs die Straße und andere Verkehrsteilnehmer auffressen wollen?

Ohne dass es den Autokäufer*innen bewusst wird, kommuniziert das gestaltete Resultat Überlegenheit und befähigt die Motive. Sei es die Demonstration des sozialen Status, dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit, der Aufbesserung des Macht- und Selbstwertgefühls oder einfach schneller als alle anderen ans Ziel zu kommen. Und wenn wir mal ehrlich sind, wer würde nicht gern die Bestie zähmen, um dann wie die Drachenkönigin auf ihrem Rücken reiten?

Einige Verkehrsteilnehmer*innen empfinden beispielsweise SUVs aufgrund ihrer schieren Größe schon als bedrohlich. Umgekehrt wirkt sich das wiederum auf das Überlegenheitsempfinden der SUV-Fahrer*innen aus. Studien der Unfallforschung der Versicherer - kurz UDV - zeigen: Je größer und scheinbar stärker ein Auto ist, desto ausgeprägter das Sicherheitsgefühl der Fahrer*innen. Mental wirkt das große, gepanzerte Fahrzeug hierbei wie eine Rüstung. Bedauerlicherweise zeigt die selbe Umfrage auch, dass diese Empfindungen rücksichtslose Verhaltensweisen beflügeln.

Designwirkung Zorn - Mimik im Automotive Design

Dabei bleibt die gefühlte und zur Schau gestellte Überlegenheit nicht folgenlos für das Miteinander im Verkehr. Evolutionäre Muster lassen sich leider nicht weg leugnen, denn bedrohlich aussehende Autos, haben eben auch dieselbige Wirkung auf unser Unterbewusstsein. Unsere ausgeprägte Sensibilität zur Erkennung und Interpretation von Emotionen (und den entsprechenden Zeichen) ist eng mit evolutionär erlernten Mechanismen verwoben. Ob Rückspiegelbetrachtung auf der Autobahn oder Stadtverkehr, der Mensch am Steuer wird unsichtbar und transformiert sich zu seinem Fahrzeug.

Die Folgen: unsere unterbewusste Wahrnehmung interpretiert permanent die ersichtlichen Stimmungslagen der Fahrzeuge und reagiert allumfänglich darauf.

Professor Lutz Fügener (Studiengangsleiter Transportation Design der HS Pforzheim) äußert sich zu diesen Mechanismen wie folgt: „Der Fahrer sieht einen Gesichtsausdruck im Rückspiegel, der ihn Platz machen lässt (...) der Fahrer fordert offensiv Rücksichtnahme ein. Schon Kinder verstehen das“.


»Bei Angst wird eine unspezifische, starke Beunruhigung erlebt. Man fühlt sich beengt, gespannt,nervös, hat ein flaues Gefühl im Magen.«

[Gefühlswelten im Straßenverkehr. Emotionen, Motive, Einstellungen, Verhalten]

Hierarchie und Wiedersetzung

Der Straßenverkehr wäre demnach auch deutlich sicherer, würden wir uns bedingungslos in jene symbolisierten „Hierarchien“ fügen. Doch einfacher gesagt als getan, denn dem entgegen steht unser Rechtsempfinden, sowie Artikel 3 des Grundgesetzes. Damit schlägt das Pendel der emotionalen Empfindung neben Unterlegenheits- und Angstgefühlen, auch schnell auf Frust, Aggression und Kampfbereitschaft um.

Es ist also nicht verwunderlich, dass das Verkehrsklima - allen voran mit einem offensichtlich zornigen Fahrzeugpulk wohin das Auge reicht - als spürbar aggressiver wahrgenommen wird. Um die Metapher weiter zu spinnen, ist die Situation mit einer Gladiatoren-Kampfarena vergleichbar. Umringt von verzerrten Wutfratzen gibt es drei evolutionäre Optionen: Frust, Angst oder sich selbst vom Zorn anstecken zu lassen.


»Wut ist die Emotion, die einem die eigene Hilflosigkeit, das Gefühl des Eingeklemmtseins und der Defensive vermittelt - und damit den Impuls, sich zu behaupten, erzeugt.«

[Gefühlswelten im Straßenverkehr. Emotionen, Motive, Einstellungen, Verhalten]

An dieser Stelle sei erwähnt, dass wir uns der Wirkung unserer Emotionen nicht entziehen können. Es ist nur schwer, meist gar nicht möglich die inneren Prozesse rational zu erfassen, geschweige denn diese umzupolen. Unsere Emotionen beeinflussen alle Bereiche. Angefangen bei den kognitiven, über soziale bis hin zu motivierenden bzw. demotivierenden Funktionen.

Doch was sind mit Fokus auf die Aggressionen im Straßenverkehr eigentlich die psychologischen Trigger?

Ungeachtet vom Verhalten der Verkehrsteilnehmer: Werfen wir einen Blick auf die gestalterischen Zeichen und ihre Wirkung. Dabei spielt die Mimik die entscheidende Rolle beim Face-Design eines Fahrzeugs. Zum Ausdruck von Hass, Ärger oder Wut werden folgende Analogien eingesetzt:

  • Starre, glänzende Augen (z.B. BMW i8)
  • An den Enden heruntergezogene Augenbrauen (z.B. Toyota Aygo)
  • Stirnrunzeln (z.B. Chevrolet Camaro)
  • Erweiterte Nasenlöcher (z.B. geweitete Doppelniere BMW i8)
  • Entblößen der Zähne (großer Kühlergrill. z.B. Audi Q8)
  • Entblößen der Eckzähne (z.B. Chevrolet Camaro)
Designwirkung Zorn - Mimik im Automotive Design

Neben diesen Faktoren spielt die bewusst gestaltete Anonymität eines Fahrzeugs eine tragende Rolle. Großflächig dunkle Bereiche wirken auf der einen Seite zwar technisch und professionell, haben allerdings auch den Effekt das Auto zu maskieren. Das Fahrzeug wirkt somit dunkler, vermummter und gefährlicher.

Generell spielt in diesem Kontext die Farbe schwarz eine tragende Rolle. Laut einer Umfrage des ADAC vermuten 47,5% der Befragten eine aggressivere Fahrweise hinter dem Steuer von schwarzen Autos. Bei silbernen Fahrzeugen sind es dagegen lediglich 9,7%.

Analogien ins Tierreich werden ebenfalls häufig aufgegriffen, um fokussierte Attribute von Raubtieren auf das Fahrzeug zu transferieren. Formverläufe, Kanten und Linienführung werden so gestaltet, dass Merkmale von Haien oder Raubkatzen ganz unterbewusst zur Wirkung kommen. Für mehr Dynamik und Flow bedienen sich die Designer (neben dem Gesicht des Autos) auch an ausgeklügelten Karosserie-Proportionierungen. Ausgeprägte Schulterlinien mit Betonung auf die Kotflügel (bei nach innen versetzter Fahrgastzelle) symbolisieren Stärke. Große Räder sorgen für eine mächtigere und wuchtigere Wirkung. Eventuelle Zusatzelemente wie ein Diffusor, aufgesetzte Blades (Audi R8) oder Kuhfänger geben dem Fahrzeug einen zusätzlichen Core and Bracket Look und erzeugen ein gepanzertes Auftreten.

7 Zeichen für aggressives Automotive Design

Wirklich faszinierend ist der Fakt, dass im Automobil-Sektor bereits seit 20 Jahren gezielt Abneigungsgefühle in gestalterische Form gegossen werden. Ärger, Wut, Zorn, Hass, Verachtung um nur ein paar zu nennen.

Dabei sind wir so gepolt, dass uns diese Signale unbewusst beeinflussen. Allgegenwärtige Schlüsselreize, die unsere Ratio unmöglich permanent filtert kann, da unser Bewusstsein im Straßenverkehr ohnehin schon stark mit koordinativen Aufgaben gefordert ist. Betrachten wir Ärger, Wut und Zorn aus psychologischer Sicht, zählen diese auch zu den Emotionen der Selbstbehauptung.


»(...) wird der Impuls der Selbst-Behauptung erzeugt, der gegen den anderen Autofahrer, der als Angreifer wahrgenommen wird, mit einem riskanten Fahrmanöver realisiert wird. Deshalb erzeugt diese Emotion eine für die Autofahrer gefährliche Verfassung.«

[Gefühlswelten im Straßenverkehr. Emotionen, Motive, Einstellungen, Verhalten]

Ein Blick auf aktuelle Verkehrsstatistiken bringt die Rechnung - belegte Verhaltensänderungen hin zu mehr Aggressivität und weniger Rücksichtnahme im Straßenverkehr.

Ich erinnere mich noch gut an ein Beispiel aus meiner Studienzeit. Zwei meiner Kommilitonen hatten die Idee einen urbanen Müllroboter zu gestalten. Das Gerät sollte autonom durch die Stadt wandern und Abfall einsammeln. Die erste Designidee war eine schwarze Tech-Spinne auf sechs Beinen, ca. 80 cm groß mit einer Kamera bestückt. Der betreuende Professor äußerte scharfe Kritik im Hinblick auf die Reaktionen, die Akzeptanz und die gestalteten Analogien. Das Schlagwort Design-Ethik (Verantwortung des Designers) kam ins Spiel. Bedenken über den Effekt des Designs, sowie die Auswirkungen auf Passanten, Kinder und das städtische Umfeld standen im Raum.

Ob Studium oder Wirtschaft, die Frage nach Design-Ethik ist relevanter den je. Mit dem Wissen über die enorme Wirkungskraft von Design, rückt auch die Verantwortung der Designer*innen in den Fokus. Kommerzielle Zielsetzungen, die den Egoismus des Einzelnen bedienen, haben ein Landschaftsbild geprägt, welches zwischenzeitlich unser Verhalten manipuliert. Leider nicht zum Besseren.

Lichtblick Future Mobility

Doch so düster diese Gegenwarts-Analyse auch scheint, birgt die Zukunft auch Lichtblicke. Ein entscheidendes Indiz liegt in der menschlichen Psyche begründet. Ich erinnere mich an viele Gespräche, worin der Wunsch nach mehr Diversität und freundlicherem Automobil Designs laut wurden. Für die Mehrheit ist der Traumoldtimer bei genauer Betrachtung ein sympathisch dreinblickender Genosse. Ob 1er Golf, Fiat 500, VW T1 oder VW Käfer. Geschwungene Radläufe, kompakte Proportionen, runde Scheinwerfer und ein freundliches oder zumindest souverän dreinschauendes Konterfei.

Neue Antriebs- und Mobilitätskonzepte machen den Ideologie-Wandel möglich. Honda setzt mit seinem „E“ ein deutliches Statement, weg vom Abneigungs- hin zu mehr Zuneigungsgefühl. Reduziert, kompakt, souverän setzt der Kleine bewusst auf Sympathie anstatt auf Aggressivität.

Designwirkung Interesse - Mimik im Automotive Design

Obendrein werden in Zukunft stetig mehr Fahrzeuge autonom agieren. Und hier erinnere ich nochmal an das Beispiel des Müllroboters. Eine sich selbst steuernde intelligente Maschine, womöglich sogar bereitgestellt als Service des Herstellers, wird kaum wie ein Stealth-Bomber daherkommen. Spätestens hier geht es mehr den je um Vertrauen.

Vertrauen in eine Marke, in intelligente Technik, in ein Design. Als Designer*innen setzen wir tagtäglich Zeichen in die Welt und gestalten und beeinflussen damit unsere Umwelt. Wie überall macht dabei die Dosis das Gift. Im Kontext von Mobilität und Urbanität bezweifle ich jedoch, dass Zorn, Aggression und Angst ein dauerhafter Schlüssel für menschliches Wohlbefinden sein wird. Und vielleicht führen mehr freundlich und souverän dreinblickende Fahrzeuge dann auch wieder zu etwas mehr Gelassenheit im Straßenverkehr.

 

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